Ich schreibe doch kein Tagebuch!  

Ich schreibe doch kein Tagebuch!  

Gefühle und Gedanken in Worte fassen, Situationen reflektieren und mehr Klarheit über sich selbst, die eigenen Werte und Ziele bekommen – Journaling ist beliebter denn je und hat mit dem klassischen Tagebuch schreiben nur wenig zu tun. Stattdessen versprechen Experten all jenen, die sich auf diese Weise regelmäßig mit sich selbst auseinandersetzen, ein bewussteres und erfüllteres Leben, weniger Stress und bessere Entscheidungen.

EINE INVESTITION IN SICH SELBST
Tagebuch schreiben war gestern – wer sich ein Notizbuch, ein Journal oder eine lose Sammlung von Blättern anlegt und sich bewusst mit sich selbst auseinandersetzt, darf sich auf die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit freuen. Denn beim gezielten Aufschreiben von Wünschen, Zielen und Gefühlen, lernt man sich selbst besser kennen. Man setzt sich mit den eigenen Gedanken auseinander, kann sie besser ordnen, reflektieren und schließlich verarbeiten.

STRESS ABBAUEN
Dadurch kommt man nicht nur zur Ruhe und sorgt durch mehr Ordnung im Kopf auch für seine geistige Gesundheit, man baut auch gezielt Stress ab, so das Ergebnis einer Studie. Kein Wunder also, dass immer mehr Menschen zu Papier und Stift greifen, um die eigenen Emotionen besser zu verstehen und zu einer Art innerem Frieden zu gelangen.

MOTIVATIONSKICK
Wem es gelingt, seine Gedanken nicht nur aufzuschreiben, sondern sie durch die neuen Selbsterkenntnisse  auch bewusst in eine positive Richtung zu lenken, darf sich auf angenehme Gefühle bis hin zu einem echten Motivationskick freuen. Journalschreiber berichten von mehr Zufriedenheit, einer Verbesserung des Wohlbefindens bis hin zu  echtem Glücksempfinden.

BESSER ENTSCHEIDEN
Auch wer eine schwierige Entscheidung zu treffen hat oder sich mit anstehenden Veränderungen schwer tut, tut gut daran, seine Gedanken zu Papier zu bringen. Neben Selbsterkenntnis, darf der Journalschreiber auf mentale Klarheit und dadurch auf mehr Selbstsicherheit und Selbstvertrauen hoffen. Experten gehen davon aus, dass durch Journaling auch schwierige Lebensphasen besser bewältigt werden können.

JOURNALING – SO GEHT‘S
Ein Notizbuch, ein paar leere Blätter, ein Schreibprogramm auf dem PC oder Smartphone und schon kann es losgehen. Sie haben gelesen, dass es verschiedene Formen des Journalings gibt und sind noch unsicher, welche am besten zu Ihnen passt? Keine Sorge! Sie finden es heraus, sobald Sie loslegen.

EINEN ANFANG FINDEN
Während die einen sofort mühelos loslegen, sobald sie ein leeres Blatt Papier vor sich liegen haben, fällt es anderen schwer, einen Anfang zu finden. Das Gute ist: Es gibt kein Richtig und kein Falsch. Sie können in ihrem ganz persönlichen Journal nichts falsch machen.
Sie kämpfen seit Tagen mit einem schwerwiegenden Problem und finden keine Lösung? Dann notieren Sie es und schreiben einfach alles auf, was Ihnen gerade dazu in den Kopf kommt. Überlegen Sie nicht lange, lassen Sie es einfach aus sich herausfließen. In der Methodik des sogenannten Freien Schreibens, wird empfohlen, den Stift für sieben Minuten nicht abzusetzen, um ungefilterte Gedanken zu formulieren. Gedanken, die Sie so vielleicht noch nie gedacht oder sich nie erlaubt haben. Jetzt ist die richtige Zeit dafür!
Vielleicht gibt es aber gerade kein dringendes Problem, das bewältigt werden muss – dann starten Sie einfach mit einer kleinen Bestandsaufnahme und beschreiben Sie, wo Sie gerade sind und wie Sie sich gerade fühlen.

FRAGEN STELLEN
Ein Journal ist kein Tagebuch und daher ist es auch wenig hilfreich, das Erlebte 1:1 wiederzugeben. Gleichwohl dreht sich in einem Journal alles um das eigene Leben, die eigenen Gefühle und Gedanken. Eine bewährte Methode ist es, sich selbst Fragen zu stellen. Dabei ist es frei, ob Sie sich stets dieselben Fragen oder immer wieder neue Fragen stellen möchten. Fragen sind ein optimaler Türöffner zu unserer Gedanken- und Gefühlswelt, sie helfen uns blinde Flecken zu entdecken und neue Perspektiven einzunehmen. Bewährt haben sich Fragen wie:

• Was beschäftigt mich?
• Wo ist meine Energie heute hingegangen?
• Für was bin ich dankbar?
• Was möchte ich verstärken?
• Was gibt es zu entscheiden?
• Welche Aussage eines Anderen hat mich heute beflügelt, welche verletzt?

Wer sich einen konkreten Lebensbereich anschauen möchte, kann sich noch konkretere Fragen stellen. Für den Bereich Beruf zum Beispiel: „Was gefällt mir gut an meiner Arbeit? In welchem Bereich möchte ich mich weiterentwickeln? Was möchte ich künftig tun, um ein besseres Verhältnis zu einem Kollegen zu bekommen? Was werde ich diese Woche tun, um mich noch wohler in meinem Beruf zu fühlen?“ Im Bereich Gesundheit könnten die Fragen so lauten: „Was habe ich diese Woche für meinen Körper getan? Habe ich mich gesund ernährt? Was möchte ich nächste Woche für meine geistige und körperliche Gesundheit tun?“
Auch in den Bereichen Freundschaft & Kontakte, Paarbeziehung, Familie, Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsentwicklung, Liebe & Anerkennung, Genuss & Eros, Gesellschaftliches und politisches Engagement, Wohnen, Zeit in der Natur, Kultur& Reisen etc. sind vielerlei Fragen möglich.
Tipp: Wem es zu mühsam ist, sich eigene Fragen auszudenken, kann auch eines der vielen vorgefertigten Journalbücher kaufen und diese einfach ausfüllen.

SATZANFÄNGE VERVOLLSTÄNDIGEN
Eine weitere beliebte Methode ist das Ergänzen von Satzanfängen. Weil unser Gehirn diese Anfänge gerne vervollständigen will, kann Unbewusstes leichter an die Oberfläche gelangen. Satzanfänge können beispielsweise sein:

• Ich fühle mich …
• Ich brauche …
• Ich bin dankbar für …
• Ich lasse los …
• Ich fokussiere mich …

INSPIRIERENDE ZITATE
Sie mögen Zitate, Sprüche und inspirierende Texte, die Sie in Büchern, Zeitschriften und Social Media entdecken? Dann können Sie auch diese zum Anlass nehmen, um ins Schreiben zu kommen.
Warum gefällt Ihnen dieses Zitat? Warum finden Sie diesen Spruch für eine bestimmte Situation so treffend? Welchen Argumenten des Autors würden Sie sich anschließen wollen?
Selbstverständlich ist es auch erlaubt, diese Inspirationen auszuschneiden und einzukleben in Ihr persönliches Journal.

GEDANKEN FLIESSEN LASSEN
Sie möchten einfach schreiben, ohne lange nachzudenken? Auch dafür eignet sich das Journaling bestens. Schreiben Sie jeden Gedanken auf, der Ihnen in den Sinn kommt. Selbst wenn er noch so außergewöhnlich, so verrückt oder außerhalb der gesellschaftlichen Normen ist. Das Journal ist Ihr persönlicher Freund, Ihre Zufluchtsmöglichkeit, um all diese Gedanken zu sortieren. Wenn Sie Sorgen haben, dass diese Gedanken doch jemand lesen könnte, dann suchen Sie sich einen guten, möglichst abschließbaren Ort für Ihr Journal oder vergeben Sie ihrem Online-Journal ein Passwort. Sie schreiben auf einzelnen Blättern? Dann zerreißen, entsorgen oder verbrennen Sie sie anschließend. In der Regel benötigen Sie das Aufgeschriebene nicht mehr zwingend, denn bereits der Prozess des Schreibens sortiert, hilft und setzt Denkprozesse in Gang.

DANKBAR SEIN
Auch wer kein klassisches Dankbarkeits-Tagebuch führen möchte, tut gut daran, dem Aspekt Dankbarkeit einen festen Platz einzuräumen. Denn wer sich neben seinen Sorgen, Ängsten und schwierigen Herausforderungen damit beschäftigt, wofür er jeden Tag dankbar ist, kann seine Sichtweise ins Positive lenken und lernt, das Leben mehr zu schätzen.

WISSENSCHAFTLICHER HINTERGRUND
Bereits in den 1960er Jahren setzte der amerikanische Psychologe Ira Progoff Journaling in Form eines sogenannten Intensiv-Tagebuchs als Methode ein, um Menschen mit einem Traumata bei dessen Bewältigung zu unterstützen. Seit den 1970er Jahren finden verschiedene Methoden der Schreibtherapie Anwendung in psychotherapeutischer Behandlung. Mit der steigenden Bekanntheit der Positiven Psychologie (seit den 1990er Jahren), findet Journaling immer mehr Zuspruch im Feld der privaten Persönlichkeitsentwicklung. Kein Wunder, so zeigen Studien, dass Menschen, die regelmäßig ein Journal führen, weniger anfällig sind für Depressionen. Mögliche Formen von Nervosität sinken, die Menschen sind klarer und fokussierter und treffen bessere Entscheidungen. Auch bessere Laune und mehr Zufriedenheit wird dem Journaling zugesprochen.

VERSCHIEDENE JOURNAL-FORMEN

Dankbarkeitsjournal
Im Dankbarkeitsjournal geht es darum, seinen Blick auf mehr Dankbarkeit zu richten. Mögliche Fragen sind: „Wofür bin ich dankbar – in meinem Leben, in meinen Freundschaften, in meiner Beziehung, in meinem Beruf? etc.“

Morgenseiten / Abendseiten
Am Morgen werden zum Beispiel die stets gleichen Fragen beantwortet wie: „Habe ich gut geschlafen? Was erwartet mich heute? Bei wem möchte ich mich heute melden? Auf was freue ich mich besonders?“. Am Abend können Sie Antworten finden auf die Fragen: „Für was bin ich heute dankbar?, Was konnte ich heute erledigen, was ist noch offen? Welche Glücksmomente habe ich erlebt?“

Erfolgsjournal
In einem Erfolgsjournal fokussiert man sich auf Dinge, die man erreichen möchte. Sie können konkrete Ziele und Teilziele formulieren, deren Zwischenschritte dokumentieren, Unterstützer notieren oder neue Wege, um die angestrebten Ziele zu erreichen. So coacht und berät man sich selbst – das Journal wird zu einem Erfolgsjournal, indem auch die Frage erlaubt ist: „Worauf bin ich stolz?“

Bullet Journal
Statt zusammenhängendem Fließtext, können auch Bulletpoints zum Einsatz kommen. Dies unterstützt nicht nur Schreibmuffeln, die Aufzählungen können auch vom Auge leichter erfasst werden. Gerne wird das Bullet Journal auch zum Planen und Strukturieren von Aufgaben genutzt.

Freies Schreiben / Gedankenfluss
Beim freien Schreiben, werden alle Gedanken einfach herunter geschrieben. Es gibt keine Vorgabe, mit Ausnahme der Empfehlung, den Stift nicht abzusetzen, um an möglichst Ungefiltertes heranzukommen. Auch Belastendes kann man sich bei dieser Form gut von der Seele schreiben.

Dream Journal
Wer viel träumt, kann seine Träume am Morgen verschriftlichen und neue Erkenntnisse und Zusammenhänge finden. Wer möchte, kann auch Experten in Sachen Traumdeutung hinzuziehen.

Das 5 – Minuten Journal
Jeden Tag nur fünf Minuten Zeit – Das 5 Minuten Journal ist eine beliebte Form des Journalings, bei dem man sich jeden Tag auf das Positive, das Gelingende konzentriert.

Der Wochenrückblick
Wer nicht jeden Tag zu Papier und Stift greifen möchte, kann sich auch gezielt am Ende einer Woche Zeit nehmen für einen Wochenrückblick.

Selbstfreundschaftsbuch
Was mag ich an mir? Was finde ich schön? Warum bin ich wertvoll? Ein Selbstfreundschaftsjournal sorgt für mehr Selbstakzeptanz und Selbstliebe und kann das Selbstwertgefühl steigern.

Mischformen
Ein Journal ist so besonders wie der Mensch, der darin schreibt. Nutzen Sie Mischformen, testen Sie aus, was Ihnen besonders liegt und freuen Sie sich auf Ihren ganz persönlichen wertvollen Begleiter und Ratgeber.

Zuerst erschienen im TOP Magazin Koblenz.

Autorin: Petra Lahnstein, Trainerin „Wachstum durch Wohlbefinden in Unternehmen“, Redakteurin und Buchautorin, Glückscoach

Bildquelle: ©Depositphotos – Rawpixel